In den Harburger Phoenix-Hallen wird eine Auswahl der Neuerwerbungen der Sammlung Falckenberg aus den Jahren 2011 bis 2014 gezeigt. Der Titel »Selbstjustiz durch Fehleinkäufe« zitiert dabei Martin Kippenbergers gleichnamiges Werk aus der Sammlung Falckenberg, das zugleich Auslöser der Ausstellung war.
Die Schau der Neuerwerbungen zeigt vom 01. März bis 25. Mai 2015 eine multimediale Vielfalt aus Videos, Filmen, Fotografie, Malerei und Installation. In der Präsentation werden rund 140 Werke von 60 Künstlern zu sehen sein.
Im dadaistisch-punkgeprägten Bereich der Counter Culture etwa von Jerry Berndt, Werner Büttner, Merlin Carpenter, Nicole Eisenman, Dennis Hopper, Ray Johnson, Mike Kelley, Paul McCarthy, Albert Oehlen, Raymond Pettibon, David Robilliard und ihren deutschen Protagonisten John Bock, Christian Jankowski, Andy Hope, Jonathan Meese, Christoph Schlingensief und Andreas Slominski. Schließlich geht es um junge Positionen wie Thorsten Brinkmann, Nathalie Czech, Sven Johne, Javier Téllez, Ena Swansea und Klassiker wie Chris Burden, Andreas Feininger, Eric Fischl, Mimmo Paladino und Man Ray. Neuerwerbungen sind Arbeiten von Art & Language, Richard Artschwager, John Baldessari, Monica Bonvicini, Hanne Darboven, Olaf Metzel, Konrad Klapheck, Astrid Klein, Imi Knoebel, Tobias Rehberger, Thomas Schuütte und Santiago Sierra.
Darüber hinaus werden umfangreiche Dokumentationen der bedeutenden amerikanischen Fotografen Lee Friedlander ( hier die selten zu sehende, fabelhafte Serie “ little screens“ ) und Lewis Baltz gezeigt. Sie stehen in einem engen Zusammenhang mit konzeptuell geprägten Arbeiten, die seit jeher einen Schwerpunkt der Sammlung Falckenberg ausmachen.
Lee Friedlander | aus der Serie „Little Screens“, 1963 – 1969,
Copyright: Sammlung Falckenberg, Hamburg
Fotos: Jens UllheimerLee Friedlander | aus der Serie „Little Screens“, 1963 – 1969,
Copyright: Sammlung Falckenberg, Hamburg
Fotos: Jens UllheimerLee Friedlander | aus der Serie „Little Screens“, 1963 – 1969,
Copyright: Sammlung Falckenberg, Hamburg
Fotos: Jens UllheimerLee Friedlander | aus der Serie „Little Screens“, 1963 – 1969,
Copyright: Sammlung Falckenberg, Hamburg
Fotos: Jens Ullheimer
Lee Friedlander | aus der Serie "Little Screens", 1963 - 1969, Copyright: Sammlung Falckenberg, Hamburg Fotos: Jens Ullheimer
Lee Friedlander. The Little Screens
Mit der Serie Little Screens thematisiert Lee Friedlander den Siegeszug der TV-Geräte als welterklärendes Massenmedium im amerikanischen Alltag. Ihre Veröffentlichung 1963 in Harper’s Bazaar begründet den Erfolg von Friedlander als einem Künstler, der heute zu den einflussreichsten Fotograf*innen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehört.
Herausgeber: Afterall Books Sprache: Englisch Taschenbuch 112 Seiten 14.86 x 1.07 x 20.96 cm
Lee Friedlanders The Little Screens erschien erstmals 1963 als Bildessay in Harper’s Bazaar, mit einem Kommentar von Walker Evans. Sechs unbetitelte Fotografien zeigen Fernsehbildschirme, die leuchtende Bilder von Gesichtern und Figuren in unbewohnte Zimmer in Häusern und Motels in ganz Amerika übertragen. Zwischen 1963 und 1969 wuchs die Serie, wurde aber erst 2001 in einer Ausstellung in der Fraenkel Gallery, San Francisco, in ihrer Gesamtheit gezeigt.
In diesem Buch argumentiert Saul Anton, dass die Little Screens „sowohl als Sammlung als auch als einzelnes fotografisches Werk funktionieren, das als offenes, potenziell unendliches Werk konzipiert ist“. Friedlanders Bilder, die den historischen Schnittpunkt zwischen moderner Kunst und Fotografie markieren, spiegeln die konkurrierenden Logiken des Museums, der Printmedien und der elektronischen Medien wider und nehmen die Probleme vorweg, die in einer Welt der allgegenwärtigen „kleinen Bildschirme“ entstanden sind.
Selbstjustiz durch Fehleinkäufe
von Harald Falckenberg im Februar 2015
Kunst unter den vorherrschenden Rahmenbedingungen eines rasanten, von immer neuen Entwicklungen getriebenen globalen Kulturbetriebs zu sammeln, ist für private Sammler, gleichermaßen aber auch für öffentliche Institutionen ein schwieriges Unterfangen. Das gilt gerade für junge Gegenwartskunst. Was heute zu hohen Preisen angeboten wird, ist oft genug morgen schon nicht mehr relevant.
Der Visionär Martin Kippenberger hat diese Entwicklung schon 1984 mit seiner melancholischen Arbeit »Selbstjustiz durch Fehleinkäufe« vorausgesehen.
Vordergründig geht es um die private Abrechnung einer kurzfristigen Liaison mit einer Künstlerkollegin, die nackt mit Schärpe und zwei halb gefüllten Einkaufstaschen einigermaßen deplatziert dasteht. Aber Kippenberger wäre nicht Kippenberger, wenn seine Arbeit nicht zugleich allgemein ein gekonnter Seitenhieb auf das Kunstsammeln wäre.
Lange habe ich nach dieser Arbeit recherchiert, bis ich sie endlich Mitte 2014 erwerben konnte. Zugegeben war sie der Auslöser dieser Ausstellung, die mit mehr als 60 Künstlerpositionen und etwa 140 Arbeiten einen Querschnitt meiner Neuerwerbungen seit 2011 präsentiert. Es sind neben Kippenberger wichtige Arbeiten dabei.
Im dadaistisch-punkgeprägten Bereich der Counter Culture etwa von Jerry Berndt, Werner Büttner, Merlin Carpenter, Nicole Eisenman, Dennis Hopper, Ray Johnson, Mike Kelley, Paul McCarthy, Albert Oehlen, Raymond Pettibon, David Robilliard und ihren deutschen Protagonisten John Bock, Christian Jankowski, Andy Hope, Jonathan Meese, Christoph Schlingensief und Andreas Slominski. Hinzu gekommen sind umfangreiche Dokumentationen der bedeutenden amerikanischen Fotografen Lee Friedlander und Lewis Baltz. Sie stehen in einem engen Zusammenhang mit konzeptuell geprägten Arbeiten, die seit jeher einen Schwerpunkt der Sammlung ausmachen. Neuerwerbungen in diesem Bereich sind Arbeiten von Art & Language, Richard Artschwager, John Baldessari, Monica Bonvicini, Hanne Darboven, Olaf Metzel, Konrad Klapheck, Astrid Klein, Imi Knoebel, Tobias Rehberger, Thomas Schütte und Santiago Sierra. Schließlich geht es um junge Positionen wie Thorsten Brinkmann, Nathalie Czech, Sven Johne, Javier Téllez, Ena Swansea und Klassiker wie Chris Burden, Andreas Feininger, Eric Fischl, Mimmo Paladino und Man Ray.
Klingt nach einem Sammelsurium, aber es ist keine Leistungsschau eines Sammlers. Nichts liegt mir ferner. Für mich sind Kunstwerke weniger Bekenntnisse und Botschaften. Sie sind — das wenigstens ist mein Credo — Dokumente des Zeitgeists und Belege gesellschaftspolitischer Entwicklungen. Fragen und Probleme, die uns alle angehen. Und doch bleiben Zweifel. Die Art World lässt sich nicht auf den Punkt bringen.
Ich weiß aus jahrzehntelanger Arbeit, dass die Beziehungen der in der Sammlung vertretenen Künstler von Wertschätzung und in vielen Fällen direkter Kontakte von großem Respekt geprägt sind. Sie haben sich spätestens in den 70er/80er Jahren von den kommerziell bestimmten Richtungen der Pop Art à la Warhol und der Appropriation Art à la Koons verabschiedet und verschiedene Wege einer gesellschaftskritischen Ausrichtung gesucht. Und eben diese Bestrebungen zu dokumentieren und in der jetzigen Ausstellung umzusetzen, entspricht dem Konzept der Sammlung Falckenberg.
Es geht um deutsch-amerikanische Zusammenhänge, ebenso aber um kritische Kunst, die sich nach der langen Dominanz von Köln und Düsseldorf im Bereich deutscher Gegenwartskunst in Hamburg und Berlin herausgebildet hat. Die Ausstellung der Neuerwerbungen seit 2011 ist zugleich ein Dank an die Deichtorhallen und die Kulturbehörde der Stadt Hamburg. Sie haben sich durch die Kooperation im Jahr 2011 in vorbildlicher Weise dafür engagiert, dass das Projekt der Sammlung Falckenberg fortgeführt werden konnte.
Von zentraler Bedeutung ist die zukünftige Entwicklung des internationalen Kunstbetriebs.
Ich sammle seit 20 Jahren Gegenwartskunst. 1994 war kein schlechter Ausgangspunkt. Nach dem Boom der 80er Jahre war der Kunstmarkt Mitte der 90er Jahre praktisch zum Erliegen gekommen. Die Avantgarde mit ihrer kühnen Idee, die Gesellschaft über Kunst zu verändern, hatte in der Postmoderne eines »Anything goes« ausgedient. Auf der einen Seite Konzeptkunst mit Bastionen autonomer Überzeugungen oft genug im Sinne der Political Correctness, auf der anderen Seite Kunst, die sich der Alltagskultur in all ihren Niederungen und dem Scheitern ihrer Hoffnungen verpflichtet sieht. Beide Richtungen überschneiden sich vielfältig. Sie sind sich in einem entscheidenden Punkt einig: Mit der traditionellen Repräsentationskunst des Guten, Wahren und Schönen haben sie nichts gemeinsam.
Und schon gar nichts mit dem Kitsch, der die heutigen Kunstmessen dominiert und weltweit Objekt der Begierde zahlungskräftiger Millionäre ist. Je teurer, desto besser. Kunst der Macht oder Kunst als Gegenmacht? Die Lage ist diffus. Der Kulturbetrieb einer Gesellschaft des Spektakels und der Events mit heute mehr als hundert Biennalen und Triennalen beherrscht die Szene. Die staatlichen Institutionen sehen sich außerstande, die Kosten zu übernehmen und setzen auf Public Private Partnerships internationaler Unternehmen. Nach den Celebritys der Filmindustrie vergangener und dem Starkult heutiger Tage ist der Sport mit den Millionensummen für Topspieler und längst auch die Kunst in ihr Visier geraten. Es geht um die Aufwertung ihrer Produkte durch gerade auch rebellische Positionen, im Sinne eines »Radical Chic«, um weltweit bekannte Künstler und Werke, für die auf den relevanten Kunstmessen, allen voran die Art Basel, und seit dem Einstieg von Christie’s und Sotheby’s in den Markt der Gegenwartskunst Ende der 90er Jahre unvorstellbare Preise erzielt werden.
Für den Katalog der Art Basel 2014 hat Harald Falckenberg unter dem Titel »Artworld. Jede Zeit hat die Kunst, die sie verdient.« die Chancen, aber auch das Dilemma der heutigen Kunstentwicklung beschrieben. Es ist ein lakonische Bestandsaufnahme, hart an der Grenze der immer wieder behaupteten, aber doch immer noch widerlegten These vom Ende der Kunst.
Ziviler Ungehorsam
[Falckenbergs Buch] ist ein durchgehend lesenswertes Plädoyer dafür, dass Sammeln nicht in erster Linie Kaufen heißt, sondern schlicht Neugier auf die komplexen Inhalte und Wissensgebiete, mit denen Kunst zu tun hat. [ Artnet Magazin, 23.01.2008 ]
„Was sind die Rahmenbedingungen für Kunst, wie wird etwas Kunst?“ Es geht um eine Sichtweise, die nicht das Kunstwerk, sondern den Künstler, die Bedeutung neuer Erkenntnisse der Hirnforschung und Psychoanalyse für die Kunst sowie den Einfluss des aktuellen Kunstbetriebs in den Mittelpunkt stellt.
BUCHEMPFEHLUNG
Ziviler Ungehorsam | von Harald Falckenberg
Statement-Reihe, Band 34 274 Gramm, broschiert 184 Seiten, 50 Abb.
Harald Falckenberg erhält das Wort. Als „Collector“, der junge und unangepasste Kunst sammelt wie kein anderer. Als Richter, der Kunst und ihren Kontext heute kritisch beurteilt und — wenn nötig — auch verurteilt. Neben scharfsinnigen Berichten über aktuelle Ereignisse und Entwicklungen im Kunstbetrieb beinhaltet dieser Band des in Hamburg lebenden Sammlers, Publizisten und Kunstvermittlers persönliche Stellungnahmen (Überblick der Sammlung, Interview mit Wilfried Dörstel) sowie leidenschaftliche Plädoyers für Künstler, die sich, wie der Autor, nicht davor scheuen, zivilen Ungehorsam zu leisten (Werner Büttner, Jonathan Meese, Paul McCarthy, Herbert Volkmann u.a.). Statements ohne Wenn und Aber.